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Auf den Spuren meiner Ahnen

Ich möchte den heutigen Blog nutzen, um von meinem Urgroßvater zu erzählen. In der Nähe des heutigen Karlsbad aufgewachsen, verlor er seine Frau kurz nach der Geburt ihres zweiten Kindes. Sie nahm das Neugeborene mit sich ins Grab und hinterließ einen Mann, der bald wieder heiratete, um seine kleine Tochter versorgt zu wissen. Da sich die Tochter und ihre Stiefmutter jedoch nicht verstanden, kam das Kind zu den Großeltern, wo es wenige Jahre lebte, bis der zweite Weltkrieg ausbrach. Wie die meisten wehrfähigen Männer, wurde auch mein Urgroßvater eingezogen und kämpfte auf der Seite der Nazis gegen die Alliierten. Wir wissen leider nur sehr wenig über seine Zeit als Soldat, zumal meine Großmutter (seine Tochter) als Kind aus Tschechien fliehen musste und sich nach einer entbehrlichen Jugend in Bayern, in der Nähe von Basel ein neues Leben geschaffen und eine eigene Familie gegründet hatte. Nach Mauerfall begaben sich meine Großeltern und zwei ihrer Töchter dann auf die Suche nach dem Grab meines Urgroßvaters. Sie fanden es tatsächlich auf einem kleinen, alten Friedhof, in der Nähe von Leipzig. Überraschenderweise zeigte sich das Grab gut gepflegt, aber niemand aus der Familie war dafür verantwortlich… Da erzählte ihnen ein Eingeborener, wie mein Großvater gestorben war, denn auch dies wussten wir bis dahin nicht:

In der Nähe von Leipzig sollte er im April 1945 Jungen im Alter von 16 bis 18 Jahren zu Soldaten ausbilden. Laut Zeugen, sah mein Urgroßvater jedoch keinen Sinn mehr darin, Kinder an die Front zu schicken, da der Krieg in seinen Augen bereits verloren sei. Er begann damit Hochverrat und wurde hingerichtet, ebenso die Jungen, die er eigentlich versucht hatte vor dem Tod zu bewahren. Um seiner zu gedenken, entschied sich das Dorf, aus dem diese Jungen stammten, das Grab meines Urgroßvaters zu pflegen, bis seine Familie gefunden sei. Dass dies noch mehr als 30 Jahre dauern würde, hatte natürlich damals niemand gedacht, aber sie blieben ihrer Entscheidung treu.

Wenn ich an diese Geschichte denke, dann sehe ich die heroische Tat eines Mannes vor mir, der für seine Überzeugungen gestorben ist. Tatsache ist, dass ich nicht weiß, ob er zu Beginn des Krieges noch aus Überzeugung kämpfte oder aus Angst. War er vielleicht auch ein Nazi und wurde im Verlauf seiner Erfahrungen als Soldat vielleicht eines Besseren belehrt? Hatte er, wie so viele andere auch, einfach Angst vor dem eigenen Tod und vielleicht auch der Hinrichtung seiner Familie, dass er tat was man ihm befohlen hatte?

Im Rahmen meiner Ausbildung hatte ich die große Ehre, mich mit ihm bzw. seiner Seele verbinden zu dürfen. Die Erkenntnisse, die ich daraus gewann, waren zunächst schmerzvoll. Er hat am Anfang daran geglaubt. Nicht an die Ausgrenzung und den Semitismus. Aber er glaubte daran, dass seiner Heimat eine bessere Zukunft zustand, seine Kinder es verdient hatten, in einer besseren Welt aufzuwachsen, als er es getan hatte. Deshalb hatte er sich bereitwillig an dem Krieg beteiligt. Lange Zeit verschloss er die Augen vor den Gräueln, auch aus Unwissen ob dies nur „Propaganda des Feindes“ war. Aber irgendwann schien er sich zumindest eingestanden zu haben, wie vergebens das Vorhaben war, welches die Nazis verfolgten. Er nahm all seinen Mut zusammen und versuchte die Zukunft zu beschützen, die er in den Augen all dieser Jungen sah. Er bezahlte dafür mit seinem Leben. Ich spürte bei ihm keinerlei Reue, was mich tief berührte. Obwohl er seine Kinder über viele Jahre nicht mehr gesehen hatte und ihnen auch nicht mehr sagen konnte, wie sehr er sie liebte, nahm er diesen Tod freiwillig in Kauf. Vielleicht wusste er auch, dass er andernfalls niemals mit gutem Gewissen zu seiner Familie hätte heimkehren können. Vielleicht wäre er ein gebrochener Mann gewesen. So fand sein Leben aber ein ehrwürdiges Ende.

Ich hoffe, dass seine Geschichte auch euch inspiriert. Für mich steht sie nämlich dafür, dass die Details eines Lebens vollkommen unwichtig sind. Wichtig ist, mit welchen Entscheidungen man am Ende dieses Leben verlässt und ob man mehr Zufriedenheit als Reue empfindet.


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